Article written by Federica Woelk, in German and English.

German Federalism during Corona: successes and failures
Federalism plays a central role in Germany, also during the Corona crisis: a public debate on disadvantages and advantages of federalism is again under way.
The question is whether the federal system copes well and efficiently with the crisis. In this extraordinary situation, one needs to know that the levels of government, federal, state, and local authorities, are coordinating their actions, but also retain considerable freedom to (re)act.
The constitutional distribution of functions and the Infection Control Act determine the responsibilities in the federal system. When protective measures need to be taken, or decisions whether and how someone shall be compensated, the responsibility is with the Federal Government. But the Länder determine the execution of this law. In concrete terms, this means that the local health authorities are responsible for cancelling events, ordering quarantine or school closures. Thus, uniform standards exist primarily within the states.
Let us take a closer look at the different positions in this debate. “Federalism is not there to shift responsibility away, but federalism is there for everyone to take responsibility”, Angela Merkel said. Federalism relies on the fact that it is locally, in the regions that people know best what they need and what works. In some regions, some decisions are more delicate than in others and a specific reaction is needed. This flexibility in part explains that the number of corona deaths in Germany has remained one of the lowest in Europe. Diversity may even be necessary. The district of Heinsberg closed all schools and kindergartens in February when the corona virus spread there. Nobody at that time demanded that Heinsberg had to wait until the schools in the whole of North Rhine-Westphalia were closed uniformly. Why should people in Brandenburg and Mecklenburg-Western Pomerania be subject to the same restrictions as people in Bavaria and Baden-Württemberg, when the risk of infection is low here and high there? A phased relaxation of restrictions is also strategically useful. Where the virus arrived earlier and required contact bans, these can be relaxed earlier.
“We see federalism is reaching its limits”, observed former chancellor Gerhard Schroeder, and Carsten Schneider (SPD parliamentary group in the Bundestag), a centralist according to himself, demands stronger powers for the federal government making clear instructions possible. Acceptance of regional solutions and of federalism in general suffer, if individual states push too far ahead with bans or relaxations, if the differences compared to immediate neighbors are too great or cannot be explained objectively.
„Föderalismus ist nicht dafür da, dass man Verantwortung wegschiebt, sondern Föderalismus ist dafür da, dass jeder an seiner Stelle Verantwortung wahrnimmt.“
Angela Merkel
Does the Corona pandemic reveal a structural weakness?
The population might get the impression that there is neither a coordinated plan for fighting the epidemic nor that the responsible Länder were willing to develop such a plan. As a reaction to the crisis, in March, Federal Health Minister Jens Spahn has received more powers: the federal government will be able to prevent a destabilization of the health care system and take appropriate measures. These powers are based upon the federal government together with the Bundestag declaring the state of an “epidemic situation of national importance”. The greatest risk, however, would be the effect of a “patchwork quilt”, i.e. each region acts independently without considering others and coordination.
Federal, state and local governments must communicate, and citizens must be able to understand which rules apply in which place. This puts limits to the diversity of restrictions. Differentiation in federal systems is not a license to do it alone. Federal, state and local governments must act in a coordinated manner, based on agreement. An example for compromise is the Bundesliga, where in the end a uniform solution was found: the games take place, but without spectators. As long as it works, no one will take a closer look at which level actually decided it.
Coordination is key. Federal, state and local governments must work together and act in constant contact with each other. Federalism can thus be an added value in the Corona crisis.
In order to prevent the dreaded second wave of infection, a so-called emergency brake was agreed between the federal and state governments, which sets new openings at a maximum limit for new infections: if the new infections in a district exceed 50 per 100,000 people within seven days, the relevant authority must again impose restrictions on the area. This is to guarantee that uniform criteria apply despite the diversity.
Germany has so far mastered the corona crisis, with a differentiated approach. However, coordination is key. Federal, state and local governments must work together and act in constant contact with each other. Federalism can thus be an added value in the Corona crisis. So far, federalism has contributed to an efficient German crisis response.
Der Deutsche Föderalismus und Corona: Erfolg oder Versagen?
Bei der Corona Krise spielt in Deutschland Föderalismus eine zentrale Rolle: eine öffentliche Debatte, zu den Nachteilen und Vorteilen des Föderalismus findet gerade wieder statt.
Die Frage ist, ob Föderalismus auch in Zeiten der Corona Krise gut funktioniert oder ob er der effizienten Reaktion im Wege steht.
Um das beurteilen zu können, muss man erst das bundesstaatliche System in dieser außerordentlichen Situation verstehen. Bund, Länder und Kommunen sprechen ihr Vorgehen ab, behalten aber die Freiheit, unterschiedlich zu reagieren. Der verfassungsrechtliche Rahmen der Aufgabenverteilung im föderalen Staat und das Infektionsschutzgesetz bestimmen die Zuständigkeiten der Bundesregierung, der Länder, der Kreise und der Kommunen. Wenn es darum geht, die Schutzmaßnahmen festzulegen, oder ob und wie jemand entschädigt wird, dann ist der Bund am Zuge. In Konferenzen zwischen Kanzlerin und Ministerpräsidenten findet jedoch auch hier Koordinierung statt. Die Ausführung dieses Gesetzes bestimmen die Länder. Nämlich in eigener Regie. Konkret heißt das, dass die örtlichen Sicherheitsbehörden und Gesundheitsämter dafür zuständig sind, Veranstaltungen abzusagen, oder Quarantäne oder Schulschließungen anzuordnen.
Einheitliche Maßstäbe existieren dadurch vor allem innerhalb der Länder. Zur Frage, ob der Föderalismus in Deutschland in dieser Krise seine Schwächen oder seine Stärken gezeigt hat, gibt es unterschiedliche Positionen.
„Föderalismus ist nicht dafür da, dass man Verantwortung wegschiebt, sondern Föderalismus ist dafür da, dass jeder an seiner Stelle Verantwortung wahrnimmt“, sagte Angela Merkel. Vor Ort in den Regionen weiß man am besten, was man braucht und was funktioniert. In einigen Regionen, die stärker betroffen sind, können diese Entscheidungen brisanter sein als in anderen. Dann kann man dort spezifisch reagieren. Es ist auch dieser Flexibilität zu verdanken, dass die Zahl der Corona-Toten in Deutschland mit am niedrigsten im europäischen Vergleich blieb.
Uneinheitlichkeit kann sogar geboten sein. Der Kreis Heinsberg schloss im Februar alle Schulen und Kindergärten, als sich das Coronavirus dort rasant verbreitete. Zum Glück forderte damals niemand, Heinsberg müsse warten, bis die Schulen in ganz NRW einheitlich schließen. Warum sollen Menschen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern den gleichen Einschränkungen unterliegen wie Menschen in Bayern und Baden-Württemberg, wenn das Ansteckungsrisiko hier gering und dort hoch ist? In der jetzigen Öffnungsphase. Ist eine zeitlich gestaffelte Lockerung ist auch strategisch nützlich. Dort wo das Virus früher ankam und Kontaktverbote erforderte, können diese auch früher gelockert werden. Es gibt jedoch auch die Gegenposition.
„Wir sehen, dass der Föderalismus an seine Grenzen kommt“, so Altkanzler Gerhard Schröder. Und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Carsten Schneider, ein bekennender Zentralist, unterstreicht, ein stärkeres Durchgriffsrecht des Bundes, würde klare Anweisungen möglich machen. Die Akzeptanz der regionalen Verantwortung und des Föderalismus leiden, wenn einzelne Länder bei Verboten oder Lockerungen zu weit vorpreschen und die Unterschiede zu den unmittelbaren Nachbarn zu groß werden und nicht mehr sachlich erklärt werden können.
„Wir sehen, dass der Föderalismus an seine Grenzen kommt.”
Gerhard Schröder
Offenbart die Corona-Epidemie also eine grundlegende Schwäche im Staatsaufbau?
Die Bevölkerung könnte den Eindruck gewinnen, dass es weder einen koordinierten Plan gegen die Epidemie gibt, noch dass die zuständigen Länder willens waren, einen solchen Plan zu erarbeiten. Als Reaktion auf die Krise hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mehr Befugnisse erhalten: Die Bundesregierung wurde in dieser Krise ermächtigt, zusammen mit dem Bundestag eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ festzustellen und darauf mit umfassenderen Rechten des Bundes zu reagieren. Um das Risiko, des „Flickenteppichs“ zu vermeiden, der dadurch entstehen würde, dass jede Region macht, was sie will, ist Koordinierung von Bund, Ländern und Kommunen notwendig. Bürger müssen begreifen können, was wo gilt. Das setzt der Verschiedenheit der Auflagen Grenzen.
Differenzierung im Föderalismus ist keine Lizenz zu Alleingängen. Es kommt also auf das Zusammenwirken aller Ebenen an. Ein Beispiel für einen Kompromiss ist die Diskussion um die Bundesliga: nach einiger Zeit hat man eine einheitliche Lösung gefunden. Die Spiele können wieder stattfinden, aber ohne Zuschauer. Solange dies funktioniert, sind alle zufrieden und niemand wird genauer darauf schauen, wer das eigentlich entschieden hat.
Um die gefürchtete zweite Infektionswelle zu verhindern, wurde zwischen Bund und Ländern eine so genannte Notbremse vereinbart, welche neue Öffnungen auf eine höchst Grenze für Neuinfektionen festlegt: wenn in einem Kreis innerhalb von sieben Tagen die Neuinfektionen 50 pro 100.000 Menschen überschreiten, muss die entsprechende Behörde erneut Beschränkungen für das Gebiet auferlegen. Dies soll garantieren, dass trotz der Verschiedenheit einheitliche Kriterien gelten.
Deutschland hat die Corona Krise bis jetzt gemeistert, mit einer gewissen Unterschiedlichkeit in den einzelnen Ländern (und sogar Kreisen); der Kernpunkt ist aber: Koordinierung muss sein. Sie ist die notwendige Ergänzung zur Autonomie. Bund, Länder und Kommunen müssen sich auseinandersetzen und können experimentieren, wenn sie den gemeinsamen Rahmen im Auge behalten. Wenn dies geschieht, kann Föderalismus in der Corona Krise ein Mehrwert sein. Bisher hat er viel zu einer flexiblen und effizienten Antwort auf die Krise beigetragen.